Aggression und „Red Zone“-Hunde

Hunde, die Aggressionsverhalten gegenüber Menschen oder anderen Hunden (generell Lebewesen) zeigen, machen uns Angst. Im Gegensatz zu manch anderen – für Menschen problematischen – Verhaltensweisen ist hier unmittelbarer Handlungsbedarf.

Darüber herrscht soweit mal Einigkeit; was man von den „Behandlungsmethoden“ nicht gerade sagen kann: von – in Österreich illegalen – Trainingsutensilien wie Teletakt und Stachelhalsband über Leinenruck und anderen gegen das Österreichische Tierschutzgesetz verstoßende Korrekturen bis hin zum gewaltfreien Training mit Leckerlis und co ist alles vertreten.

 

Inzwischen gibt es genügend Erkenntnisse über das Ausdrucks- und Lernverhalten, hundliche Bedürfnisse und Sozialverhalten, die beweisen, dass ein Training von Hunden, das auf Korrekturen und Bestrafung aufbaut, einen Hund weder „sicher“ macht noch tierschutzgerecht ist. Einige Argumente habe ich bereits in vergangenen Posts thematisiert (selbstverständlich kein Anspruch auf Vollständigkeit!):

 

Aggression? Weshalb Unterordnung/Gehorsam der falsche Weg ist

Besuch bei Tierärztin – über Unterordnungsmüll, Hunde abrichten und Hansi, dem Untoten

Training mit dominanter und aggressiver Super Susi

Die Vorurteile gegenüber dem gewaltfreien und belohnungsbasierten Training von Hunden

 

Trotzdem erscheint es jedoch für viele Menschen logisch, einen Hund insbesondere für aggressives Verhalten zu bestrafen oder zu korrigieren, ihm deutlich zu zeigen, dass sein Verhalten unangemessen ist. Veraltete und überholte Rangordnungs- und Dominanztheorien untermauern dieses Vorgehen.

 

Medial, vor allem im Fernsehen, sind Beiträge beliebt, die sich mit der „Behandlung“ von Aggressionsverhalten befassen. Teilweise spektakuläre Maßnahmen, wie den Hund auf den Boden drücken bis er aufgibt, und weniger auffällige Korrekturen wie Leinenrucke, Tritte oder anderweitige Androhungen unangenehmer Konsequenzen erreichen viele ZuseherInnen. Und zum Leidtragen der Hunde (und der Sicherheit!) gibt es inzwischen auch viele NachahmerInnen. Der amerikanische Hundeflüsterer Cesar Millan ist der wohl bekannteste Anwender dieser tierquälerischen Methoden.

 

Hier ein vor kurzem erschienenes Interview einer Österreichischen Zeitung über die Gefahren und Tierschutzrelevanz von Cesar Millan und co:

 

 

 

Gerade Aggressionsverhalten erfordert also keine aversiven Trainingsmethoden (auch keine psychischen Bedrohungen „Wehe wenn du das tust“, „Nein“, Zischlaute aller Art), sondern Management (auslösende Situationen verhindern oder sinnvolle „Schadensbegrenzung“) und gezieltes Training durch positive Verstärkung (abseits der Abklärung möglicher gesundheitlicher Ursachen, Stressreduktion, klare Strukturen, Veränderungen im Tagesablauf, etc). Weder psychische noch physische Gewalt führt zu Hunden, die für ihre Umwelt keine Gefahr (mehr) darstellen.

 

Doch was ist mit diesen „Red Zone“-Hunden, die Cesar Millan meist innerhalb „kurzer Zeit rehabilitiert“? Die sind doch „wirklich aggressiv“ und „absolut gefährlich“, Ausnahmehunde in Punkto Aggressivität, die eine Trainerin wie ich und viele meiner KollegInnen noch nie live gesehen haben. Cesar rettet Hunde vor dem Einschläfern – ein Held?

Nein. Auch andere HundetrainerInnen retten Hunden das Leben, arbeiten aber gewaltfrei und belohnungsbasiert, mich eingeschlossen. Zahlreiche ExpertInnen warnen außerdem vor dem Training mittels Strafe und Korrekturen.
Ein weiterer Fehler in dieser Herangehensweise besteht vor allem auch darin, dass das Aggressionsverhalten überhaupt ausgelöst wird, um es dann bestenfalls zu unterdrücken. Eine sinnvolle, tierschutzkonforme und sichere Verhaltensänderung findet hier nicht statt. Fast jeder Hund kann zu einem „Red Zone“-Hund werden, wenn er für sein Ausdrucksverhalten bestraft und/oder massiv körperlich „bedrängt“ wird (ein Tritt in die Flanken ist übrigens kein Aufmerksamkeitssignal wie ein menschliches auf die Schultern tippen, was auch niemals Aggressionsverhalten unterbrechen könnte!).

 

Gutes Training von Aggressionsproblemen behandelt die Ursachen: die Assoziationen der Hunde werden positiv verändert und der Hund lernt eine adäquate Verhaltensalternative. Das sieht dann wenig spektakulär aus. Auch bei „Red Zone“-Hunden.

Gerade heute hatte ich einen Hund im Training, den „sogar“ Cesar Millan als „Red Zone“-Hund bezeichnen würde: Dämon (er wird Dämi gerufen), ein kastrierter Pitbull-Rüde, hat andere Hunde bereits mehrfach gebissen und einen sogar getötet (auch VertreterInnen anderer Rassen, die eine ähnliche Geschichte haben, sind bei mir im Training). Menschen gegenüber ist Dämon sehr freundlich, obwohl er bestimmt in der Vergangenheit vom Vorbesitzer körperlich bestraft wurde. Sein jetziger Besitzer erzählte mir im Erstgespräch, dass Dämon lange Zeit bei schnellen Bewegungen zusammenzuckte.
Der Hund hat Glück, sein Mensch ist ein Naturtalent. Nach nur zwei Theorieeinheiten (auch für den NÖ-Sachkundenachweis) inkl. Videobeispielen konnten wir die erste Praxisstunde erfolgreich abschließen: mittels positiver Verstärkung (hier mit Clicker) verändern sich Dämons Assoziationen anderen Hunden gegenüber und er lernt ein adäquates Alternativverhalten. Ausschlaggebend für den Erfolg war, dass wir Dämon nie in die Situation führten, die Aggressionsverhalten auslöst.
Die Prognose ist gut und ich bin zuversichtlich, dass wir die Distanz zu anderen Hunden bald verringern können, denn der Besitzer trainiert auch im Alltag ganz bewusst mit dem Hund, hat viel Einfühlungsvermögen und Empathie. Ziel ist es, dass man Dämon sicher an anderen Hunden in angemessenem Abstand vorbeiführen kann und dass er generell ansprechbar und damit kontrollierbar bleibt. Dämon trägt ein Brustgeschirr (an dem auch die Leine befestigt ist), wird „mit Leckerlis belohnt“ und ist mit Beißkorb gesichert.

Die 2. Praxiseinheit und es klappt schon wunderbar:

 

(Im Training von Hund-Hund-Aggression ist mir übrigens auch wichtig, dass der hundliche Trainingspartner, in dem Fall „mein“ Nemo, auch Spass daran hat – an der Leine gehen kann und soll ja auch lustig sein.)